Die kardio­protektive Rolle von Coenzym Q10 und Selen

Digitales Kunstwerk eines leuchtenden menschlichen Herzens mit sichtbaren Arterien und Venen, vor einem Hintergrund in lebhaftem Blau.

Kardiologie | Behandlung bei Herzpatienten von

Autorin: Dr. rer. nat. Mercedes López

Weltweit sind Herzerkrankungen eine der Hauptursachen für Morbidität/Sterblichkeit. Jährlich sterben mehr als 17 Millionen Menschen daran, mehr als an allen Krebsarten zusammen. Obwohl die Ätiologie von Herzerkrankungen multifaktoriell ist, spielt oxidativer Stress eine wichtige Rolle bei der Pathogenese. Oxidativer Stress entsteht durch ein Ungleichgewicht zwischen Oxidantien und Antioxidantien. Freie Radikale, z. B. Sauerstoffspezies, gehören zu den stärksten Oxidationsmitteln und sind Nebenprodukte des mitochondrialen Stoffwechsels. Oxidativer Stress lässt sich zwar nicht ganz vermeiden, aber es kann proaktiv dagegen vorgegangen werden. Hier kommen Antioxidantien ins Spiel, z. B. Ubiquinol/Ubiquinon, auch bekannt als Coenzym Q10 (Q10), und Selen.

Über Dr. rer. nat. Mercedes López

Nach einem Bachelor- und Masterabschluss in Biologie in Venezuela promovierte die Autorin in Biochemie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Sie konzentrierte sich auf die Hämostaseforschung und arbeitet aktuell in der mitochondrialen Medizin.

Sie ist Autorin mehrerer wissenschaftlicher Veröffentlichungen, hat einen Buchbeitrag und ein Patent. Derzeit ist sie Leiterin der Forschung und Entwicklung sowie der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung eines Unternehmens mit dem Fokus auf die mitochondriale Medizin.

Kontakt: info@imma-org.eu

Ubiquinon/Ubiquinol Q10

Coenzym Q10 ist ein lipidlösliches Antioxidans, das in allen Zellen vorkommt. Das Molekül enthält einen Benzoquinonring und eine Polyisoprenoid-Seitenkette, die beim Menschen 10 Untereinheiten enthält, daher auch der Name Q10. Diese Seitenkette kann schädliche freie Radikale, insbesondere Hydroxyl-Radikale, direkt abfangen und neutralisieren. Coenzym Q10 kommt sowohl in den Mitochondrien als auch in anderen Zellstrukturen vor. In der inneren Membran der Mitochondrien transportiert Q10 Elektronen von den Komplexen I und II zum Komplex III der Atmungskette, wodurch Energie für die ATP-Produktion erzeugt wird [1].

Der Begriff Q10 bezieht sich auf drei verschiedene koexistierende molekulare Formen. Ubiquinon liegt in einem oxidierten Zustand vor und ist die inaktive Form. Semiquinon ist die erste von zwei Stufen der Reduktion von Ubiquinon zu Ubiquinol. Ubiquinol hingegen liegt in einem vollständig reduzierten Zustand vor und kann von anderen Molekülen oxidiert werden. Q10 wird als Ubiquinon oder Ubiquinol in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet, aber seine Umwandlung von der oxidierten Form in Ubiquinol ist für seine Funktionen unerlässlich [2].

Ubiquinol spielt auch eine wichtige Rolle als Antioxidans in Lipidstrukturen wie Zellmembranen und Lipoproteinen, um diese vor schädlichen oxidativen Prozessen zu schützen. Ubiquinol trägt zur Bildung neuer Mitochondrien bei. Das ist besonders wichtig für das Herz, da es viel Energie für seine Funktion benötigt. Der natürliche Q10-Spiegel beginnt bereits ab einem Alter von 20 Jahren zu sinken und nimmt bis zum Alter von 80 Jahren um bis zu 50 % im Vergleich zu den früheren Lebensjahren weiter ab [3].

Auch wird die körpereigene Q10-Synthese durch bestimmte Medikamente wie Statine oder Bisphosphonate gehemmt, die häufig besonders von älteren Erwachsenen eingenommen werden [4]. Statine hemmen die Synthese von Mevalonat, einem Zwischenmolekül, das als Vorstufe für Cholesterin und Q10 dient.

Statine werden zur Behandlung von Hypercholesterinämie eingesetzt. Statine senken jedoch zusätzlich den Q10-Spiegel und können häufig Nebenwirkungen wie Myalgie, Neuropathie, Myopathie und sogar Diabetes verursachen, da Q10 für die Bildung von Disulfidbrücken im Insulinmolekül notwendig ist. Diese Nebenwirkungen könnten durch die gleichzeitige Gabe von Q10 vermieden werden [5].

Bioverfügbarkeit von Ubiquinol/Ubiquinon

Die ersten Studien zur Ermittlung einer wirksamen Dosis von Q10 wurden an einem Duchenne-Muskeldystrophie-Tiermodell an der Stanford University im Jahr 1967 durchgeführt. Die Mäuse wurden mit Ubiquinon-Pulver in Dosierungen von 1, 2, 5 und 10 mg/kg behandelt. Danach wurden die Mäuse mit den Vorderbeinen auf eine sandpapierbelegte rotierende Stange gesetzt. Je nach Muskelkraft sprangen sie die Stange hinauf oder hingen daran. Erst ab einer Dosis von 10 mg/kg waren die Mäuse in der Lage, die Stange erfolgreich hochzuspringen.

Grafik zeigt den Verlauf der CoQ10-Konzentration (mg/L) über 48 Stunden mit drei farbigen Kurven und Fehlermarkierungen.

1. Plasmakonzentration von drei verschiedenen Q10-haltigen Formulierungen nach einer oralen Dosis von 100 mg. Nanoformulation mit Ubiquinol (blauer Kreis), Nanoformulation mit Ubiquinon (rotes Viereck) und Ubiquinon nach einem thermischen Kristalldispersionsverfahren (grünes Dreieck). Aus López-Lluch et al. 2022 [7]. In einer pharmakokinetischen Studie wurde die Bioverfügbarkeit von drei verschiedenen Q10-Präparaten verglichen [7]. Abbildung 1 zeigt die Plasmakonzentration nach einer 100-mg-Dosis von Q10. Der blaue Kreis steht für Ubiquinol in einer kolloidalen Dispersion mit einer Partikelgröße von ca. 50 nm (auch Nanoformulierung genannt). Diese Formulierung wird besser aufgenommen und hat daher eine höhere Bioverfügbarkeit als eine Ubiquinon-Nanoformulierung (rotes Viereck). Diese wird wiederum etwas besser absorbiert als Ubiquinon nach einem thermischen Kristalldispersionsverfahren in Kapselform (grünes Dreieck). Die Tmax von Q10 wird nach ca. 6 Stunden erreicht und die Eliminationszeit beträgt 33 Stunden [8].

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Dosis des Q10-Pulvers, die erforderlich ist, um eine pharmakologische Wirkung zu erzielen, sehr hoch ist. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Q10 aufgrund seiner hydrophoben Natur nur schlecht absorbiert wird. Es ist jedoch bekannt, dass die Absorption von Q10 durch das Vehikel, die Trägerlipide oder das Solubilisierungsverfahren ebenso wie seinen Oxidationsgrad erheblich beeinflusst werden kann. Ubiquinol wird tatsächlich besser absorbiert als Ubiquinon. Diese Kenntnisse hat die Entwicklung von neuen Q10-Formulierungen mit erhöhter Bioverfügbarkeit ermöglicht [6].

Die großen Unterschiede in der Bioverfügbarkeit der verschiedenen Q10-Formulierungen könnten die Unterschiede in den Ergebnissen der klinischen Studien erklären.

Q10-Behandlung bei Herzpatienten

Frühere Studien haben die schützende Rolle der Q10-Behandlung bei Herzpatienten nachgewiesen.

Makhija et al. [9] untersuchten die Wirksamkeit von Q10 bei Patienten, die sich einer Koronararterien-Bypass-Operation unterzogen. Die Q10-behandelten Patienten hatten weniger Reperfusionsarrhythmien, benötigten weniger Inotropika, Blutprodukte und hatten einen kürzeren Krankenhausaufenthalt als die Kontrollgruppe.

Darüber hinaus zeigte eine zweijährige Begleittherapie mit Q10 (300 mg/Tag) in einer randomisierten, kontrollierten Multicenterstudie an 420 Patienten mit Herzinsuffizienz (Q-SYMBIO-Studie) eine Verringerung der schweren kardiovaskulären Ereignisse [10]. In einer Studie aus Japan wurden 242 Herzpatienten einer Koronarstation untersucht. Während einer Nachbeobachtungszeit von 3,2 Jahren wurde festgestellt, dass die Q10-Spiegel bei den Nicht-Überlebenden signifikant niedriger waren als bei den Überlebenden [11].

Damian et al. 2004 [12] führten eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit 49 Patienten nach einer kardiopulmonalen Reanimation (CPR, cardiopulmonary resuscitation) durch. Die Patienten wurden einer Hypothermie (35°C für 24 Stunden) entweder bei gleichzeitiger Q10- oder Placebo-Gabe zugewiesen. Die Q10-Dosis von 250 mg wurde als eine Nanoformulierung von Ubiquinon über eine nasogastrale Sonde verabreicht, gefolgt von 3x 150 mg Q10 täglich über 5 Tage. Abb. 2 zeigt eine Überlebensrate von 68 % in der Q10-Gruppe (17 von 25 Patienten) im Vergleich zu 29 % (7 von 24 Patienten) in der Placebogruppe.

Q10 erwies sich auch als der Schlüssel zum Schutz der Gehirnfunktionen nach einem Herzstillstand. Tatsächlich wies die Q10-Gruppe 24 Stunden nach der Wiederbelebung einen signifikant niedrigeren Serum-S100-Protein-Wert, ein Marker für Blut-Hirn-Schranken-Dysfunktion (0,47 gegenüber 3,5 ng/ml), auf als die Placebo-Gruppe.

Diese relevanten Ergebnisse haben dazu geführt, dass Q10 und eine Hypothermiebehandlung in die Leitlinien der American Society of Neurology [13] zum Schutz des Gehirns nach kardiopulmonaler Reanimation aufgenommen wurden.

Diagramm zur Überlebensrate nach Wiederbelebung (CPR) über 100 Tage im Vergleich von Placebo und CoQ10.

2. Überlebensrate bei Patienten nach einer kardiopulmonalen Reanimation, die mit Hypothermie plus Q10 oder plus Placebo behandelt wurden. Aus Damian et al. 2004 [12].

Selen zur Herzgesundheit

Selen ist ein Hauptbestandteil des antioxidativen Abwehrmechanismus mit einer wichtigen Rolle für die kardiovaskuläre Gesundheit. Außerdem beeinflusst Selen die rheologischen Eigenschaften des Blutes.

So kann beispielsweise die Einnahme von 200 μg Selen pro Tag für eine Woche die Fließeigenschaft des Blutes verbessern [14]. Selen vermittelt auch seine Wirkungen, indem es in unterschiedliche Selenoproteine eingebaut wird. Bislang wurden über 25 Selenoproteine identifiziert. Sie werden in verschiedenen Organen und Geweben exprimiert und haben zahlreiche Funktionen. Abb. 3 gibt einen Überblick über ihre Funktionen allein im Herz.

Die Glutathionperoxidasen (GPx) gelten als die wichtigsten Proteine innerhalb der Selenoproteinfamilie. Im Gegensatz zu anderen Antioxidantien können sie reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies neutralisieren. GPx katalysieren die Reduktion von H₂O₂ zu Wasser unter Verwendung von reduziertem Glutathion (GSH) als Co-Faktor.

Die Selenzufuhr ist in Europa gering. Selenmangel wurde bereits zuvor mit verschiedenen Lebensstilerkrankungen in Verbindung gebracht, u. a. Kardiomyopathien, Vorhofflimmern, Atherosklerose und Herzversagen. Eine Supplementierung mit Selen erhöhte die antioxidative Kapazität bei Personen mit niedrigem Selengehalt erheblich [16].

Dies könnte auf induzierbare Selenoenzyme zurückzuführen sein, insbesondere auf die Glutathionperoxidase-1 und die zytosolische Thioredoxinreduktase-1, die für die selenabhängige Reduktion von Ubiquinon zu Ubiquinol wichtig ist.

Illustration der Rolle verschiedener Enzyme und Proteine bei oxidativem Stress und Herzgesundheit, mit Fokus auf GPx1, GPx3, GPx4, Trx1, SelS, SelK, SelR und DIO2.

3. Rolle der Selenoproteine im Herz. Glutathionperoxidasen (GPx); Schilddrüsenhormon-Deiodinasen (DIO); Selenoproteine (SelR, SelK und SelS) und Thioredoxine (Trx-1/TrxR1). Aus Benstoem et al., 2015 [15].

Die effiziente Kombination aus Q10 und Selen

Q10 in Kombination mit Selen wird mit besseren Ergebnissen bei Herzpatienten in Verbindung gebracht. Selen erhöht den Q10-Gehalt. Studien zeigen, dass der Q10-Gehalt in der Leber von Ratten mit Selenmangel nur 67 % des Q10-Gehalts von Tieren mit optimalem Selenspiegel betrug [17].

Dunning et al. 2023 wiesen die wirksame Kombination von Q10 und Selen in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie nach. 434 gesunde Erwachsene im Alter von 70 bis 88 Jahren erhielten ein Placebo oder eine Kombination aus 200 mg Q10 und 200 μg Selen täglich zusätzlich zu ihren üblichen Medikamenten. Nach 48 Monaten zeigte die kombinierte Selen- und Q10-Supplementierung bei älteren Personen mit niedrigem Selengehalt eine schützende Wirkung, die mit einem erhöhten Gehalt an freien Thiolen verbunden war und eine Verringerung des systemischen oxidativen Stresses widerspiegelte [16].

In einer anderen Studie wiesen Teilnehmer, die die Kombination aus Q10 und Selen einnahmen, im Vergleich zu denjenigen, die ein Placebo einnahmen, deutlich bessere Ergebnisse Herzfunktionswerte, die mittels Echokardiographie ermittelt wurden, zeigten bei den Teilnehmern der Q10- und Selen-Gruppe bessere Ergebnisse. Ihre Werte des Biomarkers für Herzinsuffizienz (NT-proBNP) waren deutlich niedriger, was auf ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinweist [18].

Bei Teilnehmern einer Studie, die Q10 und Selen über einen Zeitraum von vier Jahren einnahmen, zeigten sich insgesamt kürzere Krankenhausaufenthalte. In der Q10 plus Selen-Gruppe wurden 1.779 Tage außerhalb des Krankenhauses im Vergleich zu 1.533 in der Placebo-Gruppe verzeichnet [19].

Weitere Analysen dieser Studie zeigten, dass Q10 und Selen auch noch 10 Jahre nach Beginn der Studie die Zahl der kardiovaskulären Todesfälle um mehr als 50 % senkten. Das bedeutet, dass Q10 und Selen ihre schützende Wirkung gegen kardiovaskuläre Sterblichkeit und ihre Vorteile auch noch Jahre nach dem Absetzen der Nahrungsergänzungsmittel beibehielten [20].

Fazit

Q10 und Selen wirken zusammen, um oxidativen Stress zu reduzieren, der bekanntermaßen eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung des Alterungsprozesses und der Entstehung von Krankheiten einschließlich Herzerkrankungen spielt.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass ältere Menschen, die eine Kombination aus Q10 und Selen zu sich nahmen, eine niedrigere Rate an kardiovaskulären Todesfällen, weniger Krankenhaustage und eine bessere Lebensqualität aufwiesen. Diese Vorteile bestehen auch nach Beendigung der Einnahme über eine lange Zeitspanne hinaus weiter. Die hier vorgestellten Studien sind überzeugende Argumente, dass Q10 und Selen einen signifikanten Schutz gegen die häufigste weltweite Todesursache bieten können.

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